Wie ich wurde, wer ich bin.
Die jungen Jahre
Im Alter von wenigen Tagen zog es mich aus einem Schwerter Krankenhaus ins Hennener (Groß-)Elternhaus. Drei Generationen unter einem Dach – das war klasse: Mit sieben Personen war immer etwas los. Wir vier Geschwister haben so einiges von unseren Eltern mitbekommen: Die Liebe zur Natur, zur Musik, zur Mathematik – aber eben auch das politische Denken. Themen nicht vorschnell beurteilen, sondern auch die andere Sichtweise bedenken. Grün im Parteisinne war mein Elternhaus sicher nicht. Aber ökologisches Handeln war selbstverständlich: Der selbstbewirtschaftete Gemüsegarten mit Komposthaufen, Milch direkt vom Drüpplingser Bauernhof, Wege innerhalb Hennens natürlich zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurücklegen, als Jugendlicher selbstverständlich den Bus benutzen. Ganz früh stellten wir um auf Energiesparleuchten – als noch kaum jemand davon redete.
Nach dem Motto „kurze Beine – kurze Wege“ ging es in Hennen in den Evangelischen Kindergarten und anschließend in die Grundschule. Ich behaupte: Nicht ein einziges Mal wurde ich mit dem Auto dorthin gebracht. Der Sachunterricht war auch damals top-aktuell: Ich erinnere mich an Stunden um die damalige SMOG-Belastung. Vom Problem der CO2-Emmissionen redete man noch nicht.
Den Horizont erweitern
Mit zehn Jahren wird die Welt plötzlich so viel größer: Mit der Busfahrkarte in der Hand und Mitschüler*innen aus anderen Stadtteilen begann der erste Teil meiner MGI-Zeit. Damals durfte man die Fahrkarte noch ganztägig und auch bis in die Innenstadt nutzen – das möchte ich wieder einführen. Ich war stolz darauf, unabhängig von meinen Eltern alles Wichtige erreichen zu können: Musikschule besuchen und Schulsachen kaufen in der Innenstadt, ins Schwimmbad oder Freibad fahren – das geht auch ohne Eltern-Taxi.
Am Märkischen Gymnasium lief in Jugendzeiten nicht immer alles erfolgreich – aber das Abitur klappte dann wieder. Auch die erste Rede: Als Stufensprecher musste ich bei der Zeugnisausgabe in die Bütt. Unter anderem rief ich meine Mitschüler*innen zu gesellschaftlichem und politischem Engagement auf. Nun, zumindest ich habe mich daran orientiert. Dass ich die jüngere Hälfte der damaligen Lehrer*innen später mal als Kolleg*innen wiedersehen darf, habe ich damals weder geahnt, noch hätte ich es geplant.
Nebenbei hatte meine erste Phase ehrenamtlichen Engagements begonnen: Nach ein paar Jahren als Teilnehmer in den Gruppen und Ferienfreizeiten des CVJM Hennen arbeitete ich dort auch selbst als Gruppen- und Freizeitleiter mit.
Der Staat ruft
Damals stand für junge Männer noch die Entscheidung an: Wehrdienst oder Zivildienst? Eigentlich hatte ich bereits die Langzeit-Alternative Technisches Hilfswerk ins Auge gefasst und dort die Grundausbildung erfolgreich absolviert. Aber der ständige Samstags-Dienst erschien mir dann doch zu schwierig mit einem Studium zu vereinen und daher absolvierte ich einen regulären Zivildienst beim Evangelischen Jugendbüro Schwerte. Organisatorische Tätigkeiten und Putzdienste bestimmten den Vormittag, nachmittags war Hausaufgabenhilfe für Grundschulkinder angesagt und abends kam die Schwerter Jugend in’s Offene Café. Die Busfahrkarte wurde natürlich bezahlt, aber im Sommer entdeckte ich, dass Schwerte von Hennen aus mit dem Fahrrad doch viel flexibler zu erreichen ist.
Die Bielefeld-Verschwörung
Ob Zufall oder glückliche Fügung – es zog mich für’s Studium nach Bielefeld. Die ominöse „Bielefeld-Verschwörung“ war schon fünf Jahre alt, aber ich kannte sie noch nicht – es war die Zeit, als noch nicht jede*r Internet zu Hause (oder gar mobil…) hatte. Die wohl spannendste Zeit begann: Alleine wohnen (erst im Studierendenwohnheim, später in Wohngemeinschaften) und selbst einkaufen müssen – halt das Leben lernen. Später als Lehrer ermutige ich meine Schüler*innen: Bloß raus zu Hause nach dem Abi! Zu keiner Zeit lernt man das eigenständige Leben so gut wie im Studium. Danach natürlich gerne zurückkommen – habe ich ja auch nicht anders gemacht.
Das Mathematikstudium war natürlich fordernd – doch ich biss mich durch. Dazu Sozialwissenschaften und Pädagogik – meine Fächerkombination stellte sich 2001 als geradezu optimal heraus, als die erste PISA-Studie veröffentlicht wurde. Im Seminar bei Professor Tillmann (damals Wissenschaftlicher Leiter der Laborschule) analysierten wir damals PISA und andere Studien. Empirische Ergebnisse kombiniert mit den soziostrukturellen Erkenntnissen aus dem Sowi-Studium waren hochspannend. Und so schrieb ich meine Staatsexamensarbeit natürlich ebenfalls auf empirischer Basis, es ging um „Studierverhalten und Studienfachwahl von Juristen, Soziologen und Mathematikern an der Universität Bielefeld“ und brachte für mich spannende Erkenntnisse. Außerdem eine hervorragende Benotung, denn die Tiefe an statistischen Methoden hatte mein Professor von einem Lehramtsstudierenden nicht erwartet.
Noch heute allerdings sage ich: Neben dem Studium habe ich mehr gelernt als in den Vorlesungen, Seminaren und Übungen. Die zweite Phase ehrenamtlichen Engagements führte mich auf Fakultäts-, Universitäts- und Studierendenschaftsebene in viele interessante Gremien. Es war nicht nur die Zeit der Bachelor/Master-Einführung, die es zu gestalten galt – zum Beispiel als studentischer Studienberater. Die damalige CDU/FDP-Landesregierung führte die verhassten Studiengebühren nicht einfach ein, sondern überließ dies den Hochschulen selbst. Ich lernte: Politik heißt anscheinend für Schwarz/Gelb, sich selbst nicht die Finger schmutzig zu machen. Statt dessen wurde der Streit in die Hochschulen getragen. Dies gipfelte bei uns in einer Besetzung des Rektorats (allerdings nicht durch mich) und einer legendären öffentlichen Senatssitzung im AudiMax, in der wir studentischen Vertreter*innen den Professor*innen die Leviten lasen. In einer späteren Sitzung drückte die professorale Mehrheit die unsozialen Studiengebühren trotzdem durch.
Zum Ende des Studiums durfte ich dann für ein Jahr den Vorsitz des Studierendenparlaments übernehmen. Parlamentarische Sitzungen vorbereiten und durchführen mit 29 Mitgliedern unterschiedlichster politischer Coleur – das war schon spannend.
Zum Studierendenleben gehört natürlich auch die freudige Seite: Fast mein gesamtes Studium lang betreute ich für die Studierendenschaft einen Veranstaltungsraum, das AudiMin. Partys, Konzerte und Theater von Studierenden für Studierende war das Motto in diesem Raum, der direkt von der Uni-Halle erreichbar unter einer Tribüne des AudiMax lag. Zu zweit bauten wir die Technik weiter aus und erlebten ein breites Kulturprogramm. Mit meinen eigenen Fachschaften organisierte ich selbst viele Partys dort und hatte oft als DJ ein willkommenes kleines Nebeneinkommen.
Nach der Zeugnisverleihung fragte mich der Rektor: „Sie bleiben doch hoffentlich politisch aktiv, Herr Isbruch?“ Die Antwort kam prompt von meiner Mutter: „Der bleibt bestimmt nicht sein ganzes Leben an der Schule!“ Soll sie etwa Recht behalten?
Geprägt hat mich die Bielefelder Zeit auch mobilitätspolitisch: Jedes Jahr wurde der Öffentliche Nahverkehr dort schrittweise verbessert. Nachtbusse kamen hinzu, das Stadtbahn-Netz wurde bis zur Uni ausgebaut, der Takt der Stadtbahnen am Abend wurde dichter usw. Wer mich heute kennt, glaubt kaum, dass ich in Bielefeld kaum Fahrrad gefahren bin. Der ÖPNV war einfach zu gut! Ich bin überzeugt, egal ob ÖPNV oder Radverkehr: Nur durch gute Angebote bringt man die Menschen zum Umsteigen!
Für mich war die Zeit in Bielefeld alles andere als eine Verschwörung, sondern eine lehrreiche und schöne Zeit.
Die waldärmste Stadt im waldärmsten Kreis NRWs
Ausgerechnet dahin zieht’s einen Waldstädter: Kamen. Günstige Mieten, das Studienseminar in Hamm und die Peter-Weiss-Gesamtschule Unna gleichermaßen gut erreichbar. Interessante Einblicke in das System Gesamtschule konnte ich gewinnen. Ansonsten sind sich Lehrer*innen ja meist einig: Die Zeit des Referendariats ist in der Regel nicht besonders erinnernswert.
Mein Ausbildungskoordinator lud mich dann ein, an der ADFC/AOK-Gemeinschaftsaktion „Mit dem Rad zur Arbeit“ teilzunehmen. Schnell entdeckte ich, dass die Fahrt von Kamen nach Unna mit dem Fahrrad viel praktischer und flexibler ist als mit dem Bus. Eine vernünftige Fahrrad-Aktentasche musste her – sie begleitet mich heute noch zuverlässig. Mein damaliger Weg zur Arbeit über die Klöcknerbahntrasse soll bald ausgebaut werden zu einem Teil des Radschnellwegs RS1. Das hätte ich mir damals gewünscht auf diesem staubig-schlammigen Weg.